Gewalt gegen Dalits nimmt zu

„Diskriminierung und Gewalt aufgrund der Kastenzugehörigkeit bis hin zu Mord und Totschlag“- das klingt wie aus längst vergangenen Jahrhunderten, ist aber die bittere Realität in Südindien. Eine Nichtregierungsorganisation aus Madurai hat nun einen Bericht vorgestellt, indem die Lage in Tamilnadu über die letzten Jahre analysiert wird. Das traurige Fazit des Berichts ist, dass das Jahr 2012 das Jahr mit den meisten Gewalttaten gegen Dalits war. In der Aufschlüsselung der Regionen sind es dann auch genau die Regionen, in denen es am meisten Vorfälle gegen Dalits gibt, in denen wir unsere Projekte durchführen und erweitern möchten.

Die Karte zeigt die verschiedenen Regionen Tamilnadus.

Die Karte zeigt die verschiedenen Regionen Tamilnadus.

Meiste Gewalt in unserer Projektgegend

Die südlichen Gegenden von Tamilnadu, namentlich Virudhunagar und Tirunelveli, werden in dem Bericht als die Gegenden mit der höchsten Anzahl an gemeldeten Gewaltfällen gemeldet. Die Vorfälle beinhalten dabei Mord, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Ähnliches. Zwar wird als positiv in dem Bericht herausgestellt, dass die Entschädigungen von Regierungsseite angehoben worden sind. Allerdings wurde bisher erst einem Prozent der Betroffenen eine solche Entschädigung zugesprochen.

Kampagnen und weltweite Aufmerksamkeit

So unerfreulich und erschreckend diese Zahlen und Vorfälle sind, so groß ist aber auch das Engagement und der Aufwand von verschiedenen Gruppierungen. Megafon-1024x886Eine besonders aktive Gruppe, die es schafft, für weltweite Aufmerksamkeit für die Dalits zu sorgen, ist das International Dalit Solidarity Network. Mit verschiedenen kleinen Kurzfilmen wird auf die Situation der Dalits hingewiesen und Nachrichten gesammelt, die Diskriminierung gegen Dalits aufdecken. Es gibt jedoch auch positive Beispiele, wie ein Ende der Kastendiskriminierung möglich wird, bzw. was an einzelnen Stellen schon sehr gut läuft. Eine Photogallerie und zahlreiche Hintergrundberichte runden das sehr gute Angebot der Webseite ab.

Bei unseren Freunden – zweiter Teil

Die milde Meeresbrise, die hier durchs Internetcafe zieht, vertreibt zum Glueck auch den bitteren Geschmack des letzten Stromausfalls und damit des Verlusts des schon geschriebenen Artikels…Na denn, auf ein Neues!

Nach aufregenden Wochen in Indien klingt nun unser Aufenthalt im kleinen Strandort Mamallapuram in der Naehe von Chennai langsam aus. Hier erholen wir uns von 30-stuendigen Zugfahrten, Brechdurchfall und harten Naechten auf irdenen Tatsachen, umschwirrt von Bataillonen von Moskitos.

Vor knapp zwei Wochen machten wir uns von Pune (Maharashtra) auf den langen Weg nach Tamil Nadu – unserer „alten Heimat“. Nach einem kurzen Ankommen am Tamil Nadu Theological Seminary (TTS) in Madurai, wo wir und viele andere Vereinsmitglieder vor 4 Jahren studiert haben, fuhren wir weiter zu unserem Pastorenfreund Durai und seiner Familie…

Durai lernten wir am TTS als Masterstudent kennen, als er gerade seine Abschlussarbeit zum Umgang der Kirche mit behinderten Menschen schrieb; da auch er – wie so viele in Indien – ein durch Polio beeintraechtigtes Familienmitglied hat, ein persoenliches Anliegen von ihm.

Durai mit seinem Sohn Giftson

Durai mit seinem Sohn Giftson

Als wir ihn dieses Mal besuchten, mussten wir lange Busstrecken ueber einige Rumpelpisten in Kauf nehmen, da er von seinem Bischof ins „hinterletzte“ Dorf versetzt wurde, obwohl er mit seinem Masterabschluss hoeher qualifiziert ist als die meisten Pfarrer_innen, die nur einen Bachelorabschluss haben. Sehr wahrscheinlich ist das der Tatsache geschuldet, dass 90% seiner Diozoese aus einer hoeherkastigen Gruppe besteht und er als Dalit daher schlechte Karten fuer einen gleichberechtigten Umgang hat.

Aber fuer den dauergutgelaunten Durai kein Grund zum langen Truebsalblasen. Viel mehr stuertzt er sich froehlich in seine 4 Gottesdienste am Tag (!) – am Sonntag sind es dann auch mal 7 in einigen seiner 20 unterschiedlichen Dorfkirchen -, verwaltet 2 Grundschulen und ein Maedchenwaisenhaus und hat zudem auch noch in seinem Heimatort 2 Bildungseinrichtungen fuer benachteiligte Kinder gegruendet (s. anderer Artikel). Ein richtiger Tausendsasser!

So schoen und beeindruckend die Zeit mit ihm auch war, war ich dann nach 2 Tagen Brechdurchfall und Kirchenlautsprechern, die jeden Morgen um 4.30 Uhr froehlich die umliegenden 10km mit Kirchenliedern beplaerrten, ganz zufrieden, weiterzufahren zu unserem Freund Raja…

Raja – ein kleiner Zeitgenosse, auf den der Spruch passt: „size zero, action hero“. Raja kommt aus sehr aermlichen Dalitverhaeltnissen. Seit einem Arbeitsunfall ist sein Vater arbeitsunfaehig und so musste seit vielen Jahren seine Mutter als Feldarbeiterin das karge Familienbrot erwerben. So war es fuer Raja und seine Familie ein Segen, dass sein Bischof Raja in das katholische Priesterseminar aufnahm und er damit versorgt war. So lernten wir Raja am TTS als katholischen Priesteranwaerter kennen.

Als wir ihn nun wiedersahen, hatten sich die Ereignisse ueberschlagen. Seine Mutter konnte nach einigen schweren Operationen die harte Feldarbeit nicht mehr verrichten und so war es nun an Raja, sofort fuer die Familie sorgen zu muessen. Also sprachen seine Eltern mit dem Bischof und innerhalb einer Woche verliess Raja das Priesterseminar, eine Stelle als Lehrer wurde gefunden, genauso wie eine Braut. Als wir Raja nun 10 Monate spaeter wiedersahen, begruessten uns Raja, seine Eltern, seine Frau Leela und der kleine Darshan, 7 Monate alt und putzmunter. So schnell kann`s gehen?!?

Matthias, die stolze Großmutter, Leela und Raja mit dem kleinen Darshan

Matthias, die stolze Großmutter, Leela und Raja mit dem kleinen Darshan

Der stolze Papa

Vor vier Jahren besuchten wir zusammen mit Raja ein katholisches Waisenhaus, fuer das er sorgte und entschlossen uns damals, die Foerderung fuer 2 Jungen und 2 Maedchen zu uebernehmen, so dass sie bis zur 12. Klasse die Schule besuchen und einen guten Abschluss erwerben koennten. Raja berichtete uns, dass sie bisher alle Pruefungen gut gemeistert haben und gerade ihre letzten Tests absolvieren. Leider konnten wir sie daher auch nicht persoenlich besuchen, aber ueber Raja unsere besten Wuensche uebermitteln. Als Ausgleich konnten wir Rajas derzeitige Schule besuchen und dort mit den Schueler_innen spielen, sprechen und singen.

Neben der großen Wiedersehensfreude mit Raja war es schön, persönlich zu erfahren, dass mit dem bevorstehenden Schulabschluss der 4 von uns unterstützten Kids die erste unserer Zusammenarbeiten sozusagen kurz vor ihrem positiven Abschluss steht. Wir hoffen natürlich, dass die Jungs und Maedchen damit eine gute Ausgangssituation für ihren weiteren Lebensweg haben.

Die Nachhilfezentren

Mit unserem Verein arbeiten wir in Suedindien, im Bundesstaat Tamilnadu mit zwei lokalen Vereinen zusammen. Einer davon ist der Saba-Trust, der von unserem Freund Vethamuthu geleitet wird. Vethamuthu und seine Familie wohnen in dem kleinen Dorf mit dem blumigen Namen Elumitchangaipatti, was auf deutsch soviel wie „Zitronendorf“ bedeutet. IMG_4210Die Lebensumstaende in diesem Dorf sind jedoch alles andere als rosig. Die meisten Dorfbewohner gehoeren zur Gruppe der Arunthatiya, was innerhalb der Kastenstruktur in Tamilnadu die unterste der verschiedenen Dalitkasten bezeichnet, die auch mit besonderen Regierungsprogrammen unterstuetzt wird.

Die Kastenangehoerigen uebernehmen traditionell alle “Drecksarbeiten”, also alles, was mit Faekalien und Abfaellen zu tun hat (Kanalarbeiten, Klos reinigen etc.). Um den Kindern nun eine bessere Bildung und damit Aufstiegschancen zu ermoeglichen, hat Vethamuthu mit unserer Unterstuetzung zwei Nachhilfezentren gegruendet, in denen die Kinder und Jugendlichen nachmittags zwei Stunden kostenlose Hausaufgabenbetreuung bekommen.

Die Kinder und Jugendlichen in Elumitchangaipatti in einem kleinen Innenhof, wo die Nachhilfe stattfindet.

Die Kinder und Jugendlichen in Elumitchangaipatti in einem kleinen Innenhof, wo die Nachhilfe stattfindet.

Immer wieder gibt es ausserdem Einheiten zu Gesundheitspraevention und weiteren lebenspraktischen Themen. Es kommen Kinder und Jugendliche aus der Dorfschule von der ersten bis zur sechsten Klasse. Viele der Dorfangehoerigen arbeiten in der Feuerwerksindustrie, die ein Zentrum in dem nahegelegenen Sivakasi hat und den Familien ein spaerliches Einkommen sichert.

Ein weiteres Nachhilfezentrum wird von einem Rechtsanwalt betreut, der sich rund um Kazhukumalai fuer die Rechte von Dalits einsetzt. Regelmaessig gibt es in dieser Gegend Vorfaelle und Gewalt gegen Dalits sowie Versuche, sie vor Gericht mundtot zu machen. Umso wichtiger scheint deshalb auch Bildungsarbeit und Empowerment fuer die Marginalisierten in der Gesellschaft.

Die Arunthatiya-Kinder bei der Nachhilfe vor einem kleinen Tempel.

Die Arunthatiya-Kinder bei der Nachhilfe vor einem kleinen Tempel.

Im Nachhilfezentrum treffen sich jeden Nachmittag rund zwanzig Kinder und Jugendliche, um Hausaufgaben zu machen und Unterstuetzung zu erfahren. Wie wichtig dieses Angebot ist, war auch daran zu erkennen, dass bei unserem Besuch fast alle Eltern ebenfalls anwesend waren und mehrmals betont haben, wie viel ihnen die Ausbildung ihrer Kinder bedeutet.

Die Eltern der NachhilfeschuelerInnen druecken ihren Dank bei unserem Besuch aus.

Die Eltern der NachhilfeschuelerInnen druecken ihren Dank bei unserem Besuch aus.

Ein weiteres Nachhilfezentrum  fuer dreissig Kinder einer nahegelegenen Siedlung ist hier ab Juni geplant.

„Shalom-Trust“, so lautet der Name des Vereins unseres Freundes Durai, der derzeit zwei Nachhilfezentren unterhaelt. Sie befinden sich in der Naehe der Kleinstadt Sankarankovil und werden von je vierzig Kindern und Jugendlichen besucht, sodass wir planen, laengerfristig die Zahl der Lehrerinnen zu erhoehen. Unser kurzer Besuch hat auch hier grosse Begeisterungsstuerme ausgeloest; die Familien der Kinder arbeiten alle als Tageloehner und haben wohl selten einen „foreigner“ live gesehen. Mit einem Generator fuer die regelmaessigen Stromausfaelle und einem Dach gegen die heftigen Regenfaelle in der Regenzeit ist eines der Zentren aufgrund lokaler Spenden bestens ausgeruestet. Dennoch lassen sich auch hier noch einige Verbesserungen durchfuehren, um den langfristigen Bestand des Nachhilfezentrums und eine ansprechende Lernatmosphaere fuer die Kinder und Jugendlichen zu garantieren.

Bildung- der Schluessel zu gesellschaftlicher Teilhabe.

Bildung – der Schluessel zu gesellschaftlicher Teilhabe

Bei unseren Freunden – erster Teil

“Halb Hindu, halb Christ”, nicht wenige seiner Student_innen am evangelikalen Allahbad Biblical Seminary sind sich bei Tapas so gar nicht sicher, ob er nicht immer noch Hindu ist.

Tapas erlaeutert uns die Grundzuege des Tantra

Tapas erlaeutert uns die Grundzuege des Tantra

Beweise? –  Er kann problemlos alle Stories ueber indische Goetter erzaehlen, aus dem Stand in die verschiedensten Spielarten des Tantra einfuehren und in seinen Erzaehlungen kommt er immer wieder auf seinen Guru zurueck oder erzaehlt von seinem letzten Aufenthalt im Ashram; dass die indische Philosophie der westlichen in seinen Augen bei Weitem ueberlegen ist, versteht sich da fast schon von selbst. Doch gleichzeitig liebt er bei seinen langen Predigten nicht nur ueber Hindu-Religionen zu philosophieren, sondern schwaermt genauso fuer Christus und die besondere Bedeutung des Leidens… der richtige Mann fuer einen 3-Tages-Hinduismus-Intensivkurs.

“This is also true.” Kims Standardantwort auf Tapas, wenn er mal wieder das komplette Gegenteil von dem behauptet, was sie gerade vertreten hat. Manchmal kamen uns die beiden wie Feuer und Eis vor. Waehrend Tapas, der Christ aus hochgebildeter Hindu-Familie, jede_n nach ihrer/seiner Facon gluecklich werden lassen moechte, kann Kim es kaum erwarten, die theoretische Arbeit am College hinter sich zu lassen und mit der Graswurzel-Evangelisation durchzustarten.

Kim im Gespraech.

Kim im Gespraech.

Nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass in Kims Heimat, dem stark benachteiligten Nordosten Indiens, das Christentum viel zum Empowerment dieser tribalen Region beigetragen hat.

“This is also true.” So verschieden uns die beiden daher auf den ersten Augenblick schienen, mussten wir auch hier lernen, dass unsere deutschen Schubladen – hier die Evangelikale, dort der pluralistische Religionsphilosoph – so überhaupt nicht passten. Beispielsweise hat Tapas als jahrelanger Missionar unter aermlichsten Bedingungen Tausende von Menschen getauft und Kim als Frau mit tribalem Hintergrund eine beeindruckende Pastorinnen- und Dozentinnenkarriere hinter sich. Anstatt nun Kims Standardantwort als Kuschen vor dem Patriarchat zu werten, sollte uns dieses Mantra zum Schlüssel in so manchen disparat scheinenden indischen Kontexten werden: “This is also true.” (Schon gewusst? Das größte Hindu-Fest mit über 80 Mio. Teilnehmern wird hauptamtlich von einem Muslim organisiert.)

Unser Interesse für das Projekt, bei dem Feuer und Wasser eine Verbindung eingehen, war also geweckt. Zusammen engagieren sich Kim und Tapas in Kims Region in Manipur, einem Bundesstaat im Nordosten Indiens, der stark unterentwickelt ist und immer wieder von buergerkriegsartigen Zustaenden gepeinigt wird. Dort haben sie eine Nachhilfe- und Bildungseinrichtung etabliert und eine Frauen-Selbsthilfegruppe aufgebaut und helfen dabei, deren Produkte zu vermarkten. Aus regionalen Rohstoffen, hauptsaechlich Bambus, stellen die Frauen wunderschöne Schmuckstücke und Haushaltsutensilien nach traditionellen Methoden her. Ihre Leitvision ist, die Frauen besser auszubilden und ihnen so weitere Möglichkeiten einzuräumen, ihren Lebensstandard zu erhöhen, sowie für die Kinder des Dorfes Nachhilfe und Gesundheitsvorsorge zu organisieren, um ihnen ein Leben in Würde und mit Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation zu ermöglichen. Ihr “Missions“-Projekt ist nicht darauf angelegt, möglichst viele Menschen zu evangelisieren, sondern die benachteiligten Gruppen der Gesellschaft ungeachtet ihres persönlichen Glaubens zu unterstützen und dadurch Zeugnis vom christlichen Glauben abzulegen – auch fuer uns eine sehr inspirierende Sichtweise fuer ein nicht alltaegliches Missionsverstaendnis. Ein weiterer Grund, das Projekt im Auge zu behalten… Nebenbei sind die Schmuckstücke richtige Hingucker! Watchout! Coming soon to Germany!

Einige wunderbare handwerkliche Exemplare aus der Frauenselbsthilfegruppe

Einige wunderbare handwerkliche Exemplare aus der Frauenselbsthilfegruppe

Der Beginn eines neuen transnationalen Business?!

Der Beginn eines neuen transnationalen Business?!

Der Vorstand auf Reisen

Nachdem der erste Vositzende, Simon Tielesch, in seiner gewohnt motivierten Art dem zweiten Vorsitzenden, Matthias Schwarzer, von seinen Reiseplänen nach Indien vorschwärmte, wurden alsbald Nägel mit Köpfen gemacht: Der Vorstand geht auf Reisen! Flugtickets wurden bestellt, Visa beantragt und natürlich alle Freund_innen und Projektpartner_innen angerufen.

So soll uns unsere Reise von Lucknow, Allahbad über Pune nach Tamil Nadu führen. Mehr als 3000 km in einem Monat…

Namaste and Welcome to India?! – Delhi Airport

Unser Flug von Frankfurt hatte einen kurzen Zwischenstopp in Delhi. Wer nun aber dachte, dass man im Delhi Airport Indien schon betreten hat, hat weit gefehlt. Eindeutige Indizien? 120 Rupien (!) – also fast 2€ – für einen Chai!! Bei sonst 7 Rupien als Standardpreis. Da konnte sogar unser indischer Verkäufer ein Grinsen nicht unterdrücken, als er unsere verdutzten Minen sah. Also nichts wie weg von hier und weiter nach Lucknow…

Lucknow – “Sie haben uns ein Denkmal gebaut”

Im weitlaeufigen Ambedkar Park sieht selbst Matthias etwas verloren aus.

Im weitlaeufigen Ambedkar Park sieht selbst Matthias etwas verloren aus.

Um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass Dalits in unserer Vereinsarbeit nur als Opfer wahrgenommen werden, war ein Ausflug nach Lucknow Pflicht. Denn in der Hauptstadt des flaechengroessten Bundesstaats Uttar Pradesh hat die vorherige Regierungschefin Mayawati, die selbst aus einer Dalit-Familie stammt, ein hoch umstrittenes steinernes und marmornes Denkmal fuer vergangene und derzeitige Groessen der Dalits errichten lassen. Vielleicht auch ein Grund fuer die Kontroversitaet des Denkmals in Form mehrerer gigantischer Parks ist die Tatsache, dass Mayawati sich selbst durch riesige Mayawati-Statuen und -Bildnisse, sowie unzaehlige Elefanten-Statuen, dem Symbol ihrer Partei, in den Mittelpunkt des Gedaechtnisses gestellt hat.

 

Vielleicht auch ein Grund dafuer, dass sie bei den letzten Wahlen in Uttar Pradesh nicht mehr wiedergewaehlt worden ist. Im Rueckblick ist dann auch das Fazit ihrer Regierungszeit durchmischt: Nach vielen wichtigen Erfolgen zu Beginn, etwa einem stark gewachsenen Selbstbewusstsein und erhoehten Aufstiegschancen der Dalits, bleiben von den letzten Jahren vor allem Prestigebauten und Korruption im Gedaechtnis. Greifbar wird ihr Erfolg bei einem Blick auf die zur Anzeige gebrachten Vergehen gegen Dalits, die vor allem deswegen deutlich hoeher ausfaellt, da mehr Faelle gemeldet worden sind und vor allem die Aufklaerungsrate im Vergleich zu Nachbarstaaten, die nicht von Dalits regiert werden, um ein Vielfaches hoeher ist.

Die allgegenwaertige Mayawati

Die allgegenwaertige Mayawati

So leiden zwar der Ambedkar -und der Kashi-Ram-Park an der Geltungssucht Mayawatis, sind aber in ihrer Bedeutung kaum ueberzubewerten; naemlich als Orte der symbolischen Repraesentation und Erinnerung der Geschichte und herausragenden Figuren der Dalits, die als Gegenpol zu sonstigen Prestigebauten geschaffen wurden, die sich alle auf hochkastige Persoenlichkeiten beziehen. Mit dem Park wird an das multireligioese Erbe Indiens und das Eintreten der religioesen Reformer fuer die benachteiligten und von gewissen Stroemungen der Hindu-Religion marginalisierten Massen erinnert. Die gewaltigen Bilder von Kashi Ram sowie die zahlreichen Abbildungen von Dr. Bhimrao Ambedkar erinnern an den langen Weg der Dalits zu gesellschaftlicher Anerkennung und politischer sowie oekonomischer Partizipation. Ein Kampf, der noch lange nicht zu Ende ist, der jedoch stets in der Gefahr steht, vereinnahmt oder glorifiziert zu werden. Mayawatis eindrucksvolles und imposantes Denkmal ist somit beides: eine Aufforderung fuer die Rechte der Dalits einzutreten und ein warnendes Beispiel vor uebertriebener Geltungssucht und Unverhaeltnismaessigkeit gleichermassen. Nach langer Beratung haben wir dann auch beschlossen, von den Vereinsspenden erst mal keine Marmorelefanten oder Vorstandsbildnisse anzuschaffen.

Beeindruckende Elefantenallee, natuerlich alles echter Marmor!

Beeindruckende Elefantenallee, natuerlich alles echter Marmor!

Die aktuelle Diskussion um Vergewaltigung und die Stellung der Frau in der indischen Gesellschaft

Autor: Simon

Seit am 16. Dezember eine 23-jährige  indische Studentin vergewaltigt worden ist und anschließend in Singapur ihren Verletzungen erlag, scheint die ganze Welt nach Indien zu blicken und gibt es auch in Deutschland viele Reaktionen auf die grausame Tat. Dabei scheint es so, als ob nur ein Teil der indischen Diskussion wahrgenommen wird und ein Großteil der auch reichlich diversen Hoffnungen und Verlautbarungen aus Indien kaum zur Sprache kommen. Die indische Philosophin Gayatri Spivak hat das westliche Interesse an der Stellung der Frau in Indien einmal spöttisch auf den Satz zusammengefasst, dass es dabei darum gehe, dass „white men save brown women from brown men“ und sie scheint damit die Stimmungslage der Bildzeitung und anderer Leitmedien eingefangen haben, wenn diese vor allem über die „Bestien“ und die Forderung nach der Todesstrafe berichten.

Die indische Philosophin Gayatri Spivak im Gespräch mit Zuhörer*innen.

Andere Stimmen

Dabei gibt es einige andere Stimmen, die einen genaueren Blick auf die Proteste und die möglichen Veränderungen innerhalb der indischen Gesellschaft werfen. Die Aktivistin und Bestsellerautorin Arundhati Roy hat in einem Interview mit dem Fernsehen die aktuelle Aufmerksamkeit für das Vergewaltigungsopfer vor dem Hintergrund andauernder Gewalt gegen Frauen in der indischen Gesellschaft analysiert und bezieht sich dabei auch auf den sozialen Kontext der Auseinandersetzung.

Arundhati Roy spricht über eine Rape Culture in Indien

Arundhati Roy spricht über eine Rape Culture in Indien

Vandana Shiva, eine der einflußreichsten Frauen Indiens und hartnäckige Kritikerin eines bestimmten ökonomischen Entwicklungsmodells, hat einen klugen Essay geschrieben, in dem sie Parallelen zwischen dem gewaltförmigen Entwicklungsmodell, das von neoliberalen Kräften etabliert werden soll, und Gewalt gegen Frauen aufzeigt.

Violent Economic Reforms

Die Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva zieht Parallelen zwischen dem Entwicklungsmodell und der Gewalt gegen Frauen.

Die Situation der Dalits

Der Dachverband der sozialen Bewegungen in Indien, die National Alliance of People Movements, hat sich in einer Erklärung ebenfalls zu den Protesten und dem Vorfall geäußert.

Eine Gruppe der National Alliance of People’s Movements im Gespräch

Dabei haben sie auf zahlreiche weitere Fälle von Vergewaltigung in derselben Woche hingewiesen, die nicht die gleiche Aufmerksamkeit erreicht haben und zudem die zugrundeliegenden Strukturen von Patriarchat, Kaste und Klassenbewusstsein kritisiert. Allerdings haben sie auch ihre Hoffnung ausgedrückt, dass durch die zahlreichen Proteste auch ein Wandel eintreten kann, der Strukturen verändern kann. Insbesondere weisen sie auch auf die Situation der Dalits in Tamilnadu und damit das Aufgabenfeld von „Nalaikke“ hin, indem zu einer Politik der inter-cast-marriage im Geiste Ambedkars aufgerufen wird, um tieferliegende Wurzeln der häuslichen Gewalt gegen Frauen und Dalits zu unterbinden.

NAPM Statement on Rape